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Vijayawada: Wir werden Teil der Familie

Schon seit einiger Zeit geplant, war es im Februar endlich soweit: Wir hatten das Glück, einen Kollegen von Stephanie in seinem Heimatdorf nahe der Stadt Vijayawada besuchen zu können. 

 

Was folgte, waren drei unvergessliche Tage, die uns noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Aber beginnen wir von vorn...

Bei den Eltern in der Wohnstube

Alles beginnt mit einem sehr frühen Flug nach Vijayawada. Die Stadt liegt etwa 630 km nördlich von Bangalore im Bundesstaat Andhra Pradesh. Nach der Landung werden wir bereits von Lokesh erwartet. Er ist schon einen Tag früher angereist, um letzte Vorbereitungen abzuschließen. 

 

Was genau geplant ist, wissen wir nicht. Wir werden seine Familie treffen und er möchte uns ein anderes Indien zeigen, abseits der Metropole Bangalore und touristischen Sehenswürdigkeiten, so viel haben wir verstanden. Ehrlicherweise hätte uns aber auch die detaillierteste Agenda nicht auf die folgenden Tage vorbereiten können.


Nach einer knappen Stunde mit dem Auto biegen wir vom Highway ins Dorf ab. Es gibt eine Kirche, eine Schule und eine Polizeistation, ansonsten viele Wohnhäuser. Es ist definitiv wesentlich ruhiger und unaufgeregter als Bangalore. 

 

Schließlich halten wir vor dem Haus von Lokesh Eltern. Jetzt geht es los. Ein kurzes hupen als Signal, und schon versammeln sich Vater, Mutter und Schwester sowie Schwägerin vor der Haustür, um uns willkommen zu heißen und schnell aus der Mittagshitze in die Kühle des Hauses zu bitten.

 

Es folgt eine herzliche Begrüßung und die anfängliche Mischung aus Aufregung und höflicher Zurückhaltung, die beide Seiten in solchen Momenten mit sich tragen, ist schnell gebrochen. 

 

Man darf nicht vergessen, hier treffen unterschiedliche Länder, Generationen, Kulturen und Sprachen aufeinander. Aber die Universalität eines herzlichen Lächelns vereint uns. Das, und die Freude am Essen. Und so sitzen wir schnell am Frühstückstisch und lassen es uns schmecken.

Als Ehrengäste unterwegs

Als nächstes geht es in die benachbarte Stadt zur Besichtigung zweier besonders bedeutender Tempel. 

 

Beim Einsteigen ins Auto verrenken sich die ersten Hälse der Nachbarn nach uns und die ersten von vielen High-Fives werden mit der örtlichen Jugend ausgetauscht. Ja, das allgemeine Interesse an uns ist recht groß, allzu viele Weiße waren aber vermutlich auch noch nicht im Dorf zu Besuch ;-). Wir erfreuen uns am entstehenden Spektakel, sind wir doch genauso neugierig auf das örtliche Leben wie die Locals auf uns.


Die Tempel und auch alles andere das wir in den nächsten Tagen besichtigen werden ist sehr schön. Aber es ist nicht nur das Was, sondern noch mehr das Wie, das in Erinnerung bleibt.

 

Denn egal wo wir hingehen, statt Touristen sind wir Ehrengäste. Immer sind wir mit einer kleinen Entourage unterwegs, angeführt von einem Onkel oder Familienfreund im blütenweißen Hemd, der als lokaler Politiker oder Mann mit Verbindungen seine Wichtigkeit auch auf uns überträgt.

Hierarchien sind in der indischen Gesellschaft viel präsenter als in Deutschland, Respektsbekundungen wichtiger und sichtbarer. Das spüren auch wir deutlich. Anstehen, um einen Segen vom Priester zu erhalten? Nein, für uns öffnen sich im wahrsten Sinne des Wortes Türen, die für die breite Bevölkerung geschlossen bleiben. Und so kommen wir stets direkt an die Reihe.

 

Geschenke, viel Händeschütteln, Fotos - und am Ende drei Zeitungsartikel über unseren Besuch: So muss sich auch der Deutsche Botschafter fühlen. 

 

Es macht definitiv Spaß, kann einem aber auch zu Kopf steigen, so im Mittelpunkt zu stehen. Und etwas vermuten wir, dass auch die honorigen Herren vor Ort ihr Profil schärfen, wenn sie mit uns gesehen und fotografiert werden. Fair enough, es ist ein Geben und Nehmen :-D.


So viel zu sehen

Nach den Tempelbesuchen fahren wir zum Mittagessen wieder zu Lokesh Eltern, es gibt köstliche lokale Gerichte - aus Rücksicht extra für uns jeweils mit nur einer Chilli gewürzt. Auch sonst werden wir herzlichst umsorgt. Stephanie trinkt gerne Coke Zero? Also hat auch Lokesh Familie diese für uns gekauft.

Da passt es, dass wir als nächstes eine Coca-Cola-Fabrik im Umland besichtigen. Das Trinkwasser in der Region ist besonders gut, dass weiß auch der Weltkonzern aus Atlanta zu nutzen. 

 

Erneut werden wir erwartet. Lokesh Schwager fährt stets mit dem Motorrad voraus, um unser Kommen anzukündigen, so müssen wir vor Ort nie lange warten. Dieser Grad an Organisationen beeindruckt uns dann doch, kennen wir Indien doch als Land wo vieles passiert - aber nichts wie geplant.

Am späten Nachmittag geht es dann ins Hotel, wo wir uns kurz ausruhen und frisch machen können.


Es ist mittlerweile gegen 17 Uhr. Wir sind vom Flughafen, zum Heimatdorf, zu zwei Tempeln, wieder ins Dorf, zur Cola-Fabrik und nun zum Hotel gefahren. Puh, nicht schlecht für den ersten Tag - der noch lange nicht vorbei ist.


Das tanzende Pferd

Es ist bereits dunkel, als wir wieder ins Dorf einfahren. Stephanie und ich schauen gedankenverloren aus dem Auto, da hören wir von Weitem Musik. Wir denken uns nicht viel dabei; bis wir beim Elternhaus ankommen:

 

Artisten und Musiker sind bereits eifrig am Darbieten ihrer Fähigkeiten, um sie herum drängt sich eine Menschenmenge die jubelt und klatscht. Wir steigen aus dem Auto - 100 Augenpaare drehen sich zu uns um, Kinder zerren an uns, die Trommeln dröhnen - es ist der perfekte Sturm und wir mittendrin.

Schnell wird eine Bank gebracht, Stephanie und ich als Ehrengäste darauf platziert. Es folgen wilde Darbietungen, auch wir tanzen, schwitzen und lachen.

 

Den Höhepunkt bildet ein bunt geschmücktes Pferd, das zum Trommelrythmus auf der Stelle tanzt und auf das wir nacheinander gesetzt werden. Ein Abend wie ein absoluter Fiebertraum, einzigartig und schwer in Worte zu fassen.


Nach diesem Spektakel gehen wir noch auswärts mit Lokesh Abendessen und fallen dann müde ins Bett. Was für ein Tag!

 

In den kommenden beiden Tagen werden viele weitere einzigartige Erlebnisse folgen; seien es Gastlichkeit und Einblick ins Leben auf dem Land, der Besuch einer Sozialbausiedlung, das Gespräch mit dem Besitzer einer Organic-Farm und so vieles mehr. Das ein oder andere Highlight werden wir sicher in Zukunft noch in weiteren Artikeln genauer beschreiben. 

 

An dieser Stelle möchten wir uns abschließend noch einmal für die Gastfreundschaft und Herzlichkeit von Lokesh und seiner Familie und Freunde bedanken. Es waren drei wundervolle Tage.


Wieder einmal hat sich bewahrheitet, dass die schönsten Erinnerungen nicht durch die einsamsten Strände oder größten Denkmäler entstehen, sondern durch den persönlichen Austausch mit Menschen vor Ort.

 

So war es auch bei der indischen Hochzeit in Indore, deren Brautfamilie uns einen weiteren wunderbaren Blick auf die indische Seele gewährt hat.


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Kommentare: 1
  • #1

    Christine (Sonntag, 05 Mai 2024 18:08)

    Was für ein Erlebnis!