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Über falsche Vorstellungen

Über Indien haben wir Deutsche und Europäer viele Vorstellungen: In Indien müssten wir uns aufs Dach des Zuges setzen, das Essen sei furchtbar scharf, die Menschen so arm, die Leute würden wie Verrückte fahren, es sei heiß, laut, voll, dreckig und stinke...

 

Mit all diesen Vorurteilen und Vorstellungen wurden wir konfrontiert, bevor wir nach Indien aufbrachen.

Müllabfuhr
Müllabfuhr

Aber auch Inder haben viele interessante Ideen und Vorstellungen zu Deutschen und Deutschland. Und wie in Deutschland auch, werden die Vorstellungen nur selten als Fragen, sondern eher als (vermeintliche) Fakten dargestellt. Hier folgt eine Sammlung von Schmankerlfakten zu Deutschland:

  • Da es in Deutschland immer kalt sei und regne wachse bei uns nur wenig Obst und Gemüse.
  • Deutsche essen außerdem alle Low Carb, also wenig Kohlenhydrate. Das liege daran, dass man in Deutschland keinen Reis kaufen könne.
  • In Deutschland verdiene jede:r unheimlich viel Geld. 
  • Und jetzt folgt mein liebstes Klischee: Deutsche seien unhöflich und sehr direkt.
Berge in Bayern
Berge in Bayern

Wir sind regelmäßig sehr erstaunt, belustigt und teilweise auch ziemlich verärgert über diese Aussagen, die von Indern und Deutschen jeweils über die Anderen getroffen werden. Und leider haben wir nicht immer das Gefühl, dass unser Gegenüber an der Realität interessiert ist, sondern seine/ihre Vorurteile gerne behalten möchte.

 

Viele dieser Klischees stammen von Extremdarstellungen durch Medien oder auch Bekannte (der Sohn des Cousins der Großmutter der Nachbarin), die einzelne Situation sehr eindimensional darstellen, aber nur selten einen Überblick über normale Situationen oder den Alltag widerspiegeln.

 

So haben wir in Indien noch auf keinem Zugdach Menschen sitzen sehen, auch wenn das sicherlich auch mal passiert. Wir haben Inder kennengelernt, die nicht gerne scharf essen und ein Land bereist, in dem der Müll achtlos auf den Boden geschmissen wird und es teilweise auch richtig ekelhaft stinkt - wo aber auch der würzige Geruch von Curry aus der Nachbarswohnung uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt oder Räucherstäbchen einer Pooja angenehm duften. Ein Land, in dem die schönsten Blumen über den Müll wachsen und eine Vielfalt an bunten Schmetterlingen durch die Lüfte fliegen. Ein Land in dem wir stets herzlich aufgenommen werden; etwas, was uns Deutschen nicht so einfach gelingt.

Wir fühlen uns stets willkommen
Wir fühlen uns stets willkommen

Dabei vermissen wir die Vielfalt von frischem BIO-Obst und -Gemüse aus Deutschland und Europa, die vielen verschiedenen Kartoffel- und Brotsorten (Kohlenhydrate). Die frische Luft am Morgen, den Geruch von Regen auf Asphalt, die Kühle der Nacht und vor allem die Natur, Freiheit und Einsamkeit; die Familie und Freunde.

 

Auch die den Deutschen vorgeworfene Direktheit, die man nicht lange zwischen den Zeilen interpretieren muss, vermissen wir. Übrigens sind auch Inder mitunter extrem direkt in manchen Bereichen. So weißt mein Laufcoach gerne jeden Einzelnen auf ein kleines Bäuchlein oder ein paar Urlaubskilos mehr hin.

 

Und auch wenn es in Indien kein so starkes ideales Körperbild gibt wie in Deutschland, wird doch der Körper des Gegenüber offen angesprochen. Du siehst müde aus, du hast abgenommen, du hast zugenommen, du siehst krank aus, ... Und es wird nicht als Frage artikuliert, sondern als Aussage, sodass man sich dann rechtfertigen muss: nein, ich fühle mich aber nicht krank, ich habe nur kein MakeUp genutzt... Dieses Verhalten würde in Deutschland als extrem übergriffig empfunden und ich schlucke da manchmal ganz schön runter.

Tradition in Bayern
Tradition in Bayern

Ein Körnchen Wahrheit oder ein Wechsel der Perspektive

Und so bewahrheiten sich manche Vorstellungen und manche sind einfach nur falsch und ignorant. Auch ist nicht alles einfach nur schlecht, selbst wenn es sich bewahrheitet. Auch hier kommt es auf die Perspektive an. Während andere Nationen Deutsche zu direkt finden, empfinden wir es als sehr angenehm nicht interpretieren zu müssen und einfach das zu verstehen, was gesagt wird. Finden wir Indien laut und voll, können  indische Kollegen von mir in Deutschland nicht schlafen, weil es nachts für sie zu leise ist.

 

Was wir uns wünschen ist ein bisschen mehr Offenheit und ehrliches Interesse am anderen Land und der anderen Kultur. Offen gesagt fällt uns das auch nicht immer leicht, aber wir bemühen uns sehr unseren Blick immer wieder zu öffnen. So ist es doch das, was das Leben spannend macht, was unsere Perspektiven erweitert und uns jeden Tag aufs Neue lernen lässt.

Das Vorurteil zum stets reichen Deutschen und stets armen Inder habe ich absichtlich noch nicht aufgeklärt, dazu wird es einen eigenen Bericht geben.


Wer neugierig auf weitere Unterschiede in Alltag und Kultur ist, sollte lesen, warum man in Indien nie allein ist - weder in der Öffentlichkeit, noch im Privaten.


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